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Haltung zeigen – Queeres Leben vor & nach dem Mauerfall 1000 600 WESENsART

Haltung zeigen – Queeres Leben vor & nach dem Mauerfall

9. November 2019 – 30 Jahre Mauerfall – dieses Datum nehmen wir zum Anlass, mal zu schauen, wie queeres Leben vor der Wende aussah und was sich in den letzten 30 Jahren verändert hat. Dafür haben wir Jacqueline B. von der Fraueninitiative Magdeburg/Frauenzentrum Courage 3 Fragen gestellt.

Wir danken Jacqueline für die Offenheit.
Und wir freuen uns, wenn du im Anschluss deine Erinnerungen und Gedanken dazu mit uns unten in den Kommentaren oder
per E-Mail an uns teilt.

Gab es queeres Leben in der DDR?

Queeres Leben in der DDR? Gab es offiziell nicht. Also, es gab offiziell keine Möglichkeit miteinander in Verbindung zu kommen. Aber es gab natürlich den Buschfunk und es gab Clubs, auch in Magdeburg, wo ich lebe. Die gewährten einem – nach Gesichtskontrolle – Einlass. Oder es gab Veranstaltungen, bei denen draußen »geschlossene Veranstaltung« dran stand, doch alle, die in der Szene drin waren, genau wussten, hier wird ihnen als queere Person Einlass gewährt. Ein Beispiel waren der Dampfer – die Würtemberg im damaligen Kultur-, heute Stadtpark.
Aber um da rein zu kommen, musste man aber erst einmal drin sein, in der Szene. Als neue Person, die Anschluss suchte, war es nicht leicht.

Zwei Personen stehen um eine Leiter, die sich unter einem Straßenschild befindet. Eine Person hält Aufkleber mit neuen, nach Frauen* benannten Straßenschildern in der Hand. Eine dritte Person steht halb auf der Leiter und schaut zum mit »Jeanne-d' Arc-Str.« überklebten Straßenschild hoch. 
links daneben steht »Haltung zeigen
Einfluss auf Politik kann jede*r nehmen, indem sie*er einer Partei beitritt, sich aufstellen lässt oder sich in Vereinen für diese Themen engagiert. Beteiligung ist immer wichtig.«

Bei mir war es über meine damalige lesbische Freundin. Die nahm mich mit zu einer komischen Kneipe. Dort klopfte sie an eine Tür und nach kurzem Warten öffnete sich eine Klappe in dieser Tür, ein Mann schaute raus, erkannte sie, nickte und so kamen wir da rein. Dadurch lernte ich das »Bella« kennen. Das hieß so, weil der damalige Inhaber Dieter »Bella« genannt wurde. 
Wenn du erst mal drin warst, konntest du das nächste Mal auch allein kommen oder jemanden anderen mitbringen. Aber das bedeutet gleichzeitig, dass du immer jemanden brauchtest, der dich »einführt«.

Viele sind damals auch nach Berlin in die »Busche« in der Buschallee gefahren. Dieser Laden war damals zu DDR-Zeiten der größte und bekannteste Treffpunkt.

Eine Alternative

Eine Alternative bot Ende der 1980er Jahre die evangelische Kirche. So habe ich – mit einer anderen Mitstreiterin – 1988 unter dem Dach der Kirche eine Lesbengruppe gegründet. Wir nannten diese Gruppe »unabhängige Frauengruppe«. Denn auch hier galt: bloß nicht verdächtig machen. Und als es diesen zweiwöchigen Treff erst einmal gab, strömten die Frauen dorthin. Den Treffpunkt benutzten wir auch Codewort – »R38«, da sich dieser in der Rathenauer Straße 38 befand. Für Lesben und Schwule in Magdeburg war auch die Hoffnungsgemeinde – unter der Leitung von Gabriele Herbst – ein Anlaufpunkt. Dort habe ich Ende der 1980er Jahre mit dem leider bereits verstorbenen Martin Pfarr einige Veranstaltungen organisiert.

Ende der 1980er Jahre hat sich in der DDR vieles liberalisiert. So wurde der A3 Club – quasi vom Staat – gegründet, weil sie bemerkt hatten, dass es hier eine Bewegung gab und die Kirche bereits Raum anbot. Somit wollte der Staat natürlich dagegenhalten, damit sie die Kontrolle darüber behielten und schufen dieses Angebot. Der A3 Club befand sich damals in der Stadtmission in der Leipziger Straße. Dieser Ort wurde damals von einer Frau geführt – von der ich denke, dass sie damals auch bei der Stasi war. Für viele aus der Szene war dies aber nicht das was sie wollten, da dieser Ort staatlich kontrolliert wurde.

Offiziell war Lesbisch oder Schwul sein in der DDR nicht verboten, aber so geheuer war es dem Staat auch nicht. Es wurde einfach nicht erwähnt und darüber gesprochen. Wahrscheinlich dachten sie, dass sie es dadurch verdrängen konnten. 

Dann kam die Wende – was hat sich dadurch für dich persönlich sowie für die Schwulen- und Lesbenszene hier in Magdeburg bzw. in Ostdeutschland verändert?

Für mich selbst hat sich nicht allzu viel verändert, da ich bereits in der DDR lesbisch gelebt habe und damit ganz gut klargekommen bin.
Klar, die Möglichkeiten weg zu gehen haben sich durch den Mauerfall verbessert. Doch auch hier hast du dich nicht gleich vor jeder*m und allen geoutet, weil – egal ob du im Sozialismus oder im Kapitalismus lebst, viele Menschen haben Vorbehalte, Vorurteile, Klischees, etc. gegenüber queeren Menschen. 
Für mich war es allerdings wichtig, das Thema politisch anzuschauen. Das war unter anderem der Grund, warum sich die »unabhängige Frauengruppe« mit den »Frauen für den Frieden« zusammengeschlossen hat und daraus die »Fraueninitiative Magdeburg« entstanden ist. In diesem Rahmen rücken wir queere Themen mit einem Schwerpunkt auf Frauen immer in den Fokus und beackern das Thema seit nunmehr über 30 Jahren. Sehr bekannte Aktionen aus dieser Zeit sind unsere Straßenumbenennungsaktion oder auch die Neuankleidung von männlichen Skulpturen in Frauenkleidern, um so auf verstärkt auf feministische Themen und Mitbestimmung aufmerksam zu machen. 

Zwei Frauen stehen vor einem Denkmal. Die Bronze-Statue – ein aufrechter Mann zwischen zwei Stählen wurde von ihnen neu in Frauenkleidern eingekleidet. Auf der Brust wurde ein Zettel mit der Aufschrift »Denk-mal-an-Frau« angebraucht. Links daneben steht »Haltung zeigen

Klar, die Möglichkeiten weg zu gehen haben sich durch den Mauerfall verbessert. Doch auch hier hast du dich nicht gleich vor jeder*m und allen geoutet, weil – egal ob du im Sozialismus oder im Kapitalismus lebst, viele Menschen haben Vorbehalte, Vorurteile, Klischees, etc. gegenüber queeren Menschen. 
Für mich war es allerdings wichtig, das Thema politisch anzuschauen. Das war unter anderem der Grund, warum sich die »unabhängige Frauengruppe« mit den »Frauen für den Frieden« zusammengeschlossen hat und daraus die »Fraueninitiative Magdeburg« entstanden ist. In diesem Rahmen rücken wir queere Themen mit einem Schwerpunkt auf Frauen immer in den Fokus und beackern das Thema seit nunmehr über 30 Jahren. Sehr bekannte Aktionen aus dieser Zeit sind unsere Straßenumbenennungsaktion oder auch die Neuankleidung von männlichen Skulpturen in Frauenkleidern, um so auf verstärkt auf feministische Themen und Mitbestimmung aufmerksam zu machen. 

Seit ’89 ist viel passiert

Klar, seit ’89 ist viel passiert – die eingetragene Lebenspartner*innenschaft oder nun die Ehe für alle. Doch dies konnte nur geschehen, weil es eine Community und die vielen Lesben, Schwulen und queeren Menschen gibt, die sich für diese Themen stark machen.

Einfluss auf Politik kann jede*r nehmen, indem sie*er einer Partei beitritt, sich aufstellen lässt oder sich in Vereinen für diese Themen engagiert. Beteiligung ist immer wichtig.

In Magdeburg sind einige Vereine entstanden, die eine Vielfalt der queeren (politischen) Beteiligung ermöglichen. Es gibt Orte, wo man hingehen und informieren kann, Social Media für den Austausch oder der Partner*innen-Suche.

Mit 30 Jahren Abstand – welches sind aktuelle Themen, für die es sich zu streiten, für die es sich politisch einzusetzen lohnt?

Seit fünf oder sechs Jahren erstarkt der Nationalsozialismus erneut. Diese Menschen sind antifeministisch, judenfeindlich und diskriminieren auch die queere Community. Und da sollte wirklich jede*r kämpfen, indem sie Haltung zeigt und Partei ergreift und sich dagegen wehrt. Das ist für mich aktuell – in Zeiten einer wachsenden AFD und identitären Gruppierungen – hochaktuell. Und es nicht allein Thema der queeren Community, sondern alle Menschen müssen/sollten sich da einmischen, denn jede*r hat in der Familie und/oder im Bekanntenkreis queere Menschen.

Viele Menschen sagen »Ach, was geht mich das an?« aber das ist nicht gut, denn viele queere Menschen engagieren sich auch für Demokratie und gegen Antisemitismus, Rassismus, Nationalsozialismus. Und darum ist es wichtig, dass wir zusammenstehen und uns nicht vereinzeln (lassen). 

Welche Erfahrungen hast du gemacht?

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